Wilson Alwyn Bentley | Die wunderbaren Formen der Schneekristalle, die sich auch dem bloßen Auge offenbaren, wenn die Flöckchen auf eine dunkle Unterlage fallen, hat wohl jeder schon einmal beobachtet – und ihre rasche Vergänglichkeit bedauert. Gibt es doch kein Mittel, um diese leichten Gebilde der Kälte aufzubewahren. Nur im Bild sind die köstlichen Formen festzuhalten, mit besonders prächtigem Ausdruck dann, wenn man die Kristalle durch das Mikroskop photographiert.
no two snowflakes are alike
Es scheint nun eine Sisyphusarbeit, die allerfeinsten Schneeteilchen auf den Beobachtungstisch des Mikroskops bringen zu wollen. Denn sie zerbrechen schon, wenn sie nur gegeneinander stoßen, zerfließen bei der geringsten Wärmezufuhr. Dennoch hat ein amerikanischer Gelehrter durch unermüdliche Geduld und erstaunliche Geschicklichkeit es fertiggebracht, Mikro-Photographien von mehr als 2000 verschiedenen Schneekristallen herzustellen. Wilson A. Bentley in Jericho hat ein Vierteljahrhundert auf die Herstellung dieser Sammlung verwendet; er musste seine Arbeiten bei strengster Kälte, oft mitten in einem wütenden Blizzard ausführen und konnte sie nur vollenden, weil er eine große Gewandtheit im raschen Einstellen des Mikroskops und eine raschest funktionierende Kamera besaß. Das Ergebnis ist aber der Mühe wert, denn wir besitzen nun Bilder von Schneekristallen, die eine unerschöpfliche Fülle der herrlichsten Formen offenbaren.
Wie in einem riesenhaften Laubwald nicht zwei Blätter zu finden sind, die einander vollständig decken, so ist auch keine der Schneeformen einer anderen gänzlich gleich. Umso wunderbarer ist aber, dass sie alle Sechseckform haben, von der auch nicht ein einziges abweicht. Innerhalb dieses Rahmens gleichen die Flöckchen bald Blumen, bald Rädern, bald winzigen Säulen, immer sind sie von berückender Schönheit.
Schneekristalle als Inspiration
„Wer genötigt ist, zu kunstgewerblichen oder industriellen Zwecken ständig neue figürliche Kompositionen zu ersinnen, braucht sich nicht länger den Kopf zu zerbrechen, wenn er Bentleys Photographien von Schneekristallen zu Hilfe nimmt. Musterzeichner, Spitzenklöppler und Künstler der graphischen Gewerbe können aus diesem schier unerschöpflichen Born, dem Gestaltungsreichtum der Natur, ihr Leben lang Anregungen gewinnen. Vieles, ja das meiste, was der Frost hier gewissermaßen spielend erzeugt, wird sich auf dem Webstuhl freilich nicht nachbilden lassen; denn diese Linien und Figuren sind zu zart und subtil, als dass sie sich mit Kettfaden und Einschlag erzeugen ließen. Aber der Überfluss an Formen in den Schneekristallen ist so groß, dass allein die darin gegebene Anregung genügt, um durch Vereinfachungen und Abänderungen unzählige brauchbare Vorlagen zu gewinnen.”
Wilson Alwyn Bentley (* 9. Februar 1865 in Jericho, Vermont; † 23. Dezember 1931 ebenda) war ein US-amerikanischer Farmer, Fotograf und Schneeforscher.
Bentley, im Hauptberuf Farmer auf seiner Familienfarm in den USA, gelang es ab dem 15. Januar 1885 als einem der ersten Menschen, Schneekristalle unter dem Mikroskop zu fotografieren. Das Verfahren dazu hatte er selbst entwickelt. Insgesamt fotografierte er mehr als 5.000 Schneekristalle. Sein 1931 veröffentlichtes Buch Snow Crystals enthält mehr als 2.400 seiner Fotos. Die Fotoplatten vermachte er dem Buffalo Museum of Science.
In einem Beitrag von 1922 stellte Bentley die These auf, dass jeder Schneekristall unterschiedlich geformt sei (“no two snowflakes are alike”). Hierzu berief er sich auf seine bisherigen Beobachtungen stets verschiedener Kristalle, womit freilich noch nicht der positive Nachweis erbracht war, dass wirklich alle Schneeflocken unterschiedlich sein müssen. Nancy Knight, eine Schneeforscherin vom National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, veröffentlichte in einem Aufsatz von 1988 die Fotos zweier augenscheinlich vollkommen identischer Schneeflocken.
Dieser Beitrag erschien 2018 auf der blaue ritter.
Eine Galerie seiner Fotos finden sie auf wikimedia.
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